Was bedeutet das Medien- und Konsumverhalten der Generation Z (15 bis 25-Jährige), für die eine hohe Kaufkraft prognostiziert wird, für den stationären Einzelhandel?
„Die Generation Z ist extremst digitalaffin und ihr Konsumverhalten wird über digitale Medien gesteuert. Diese Altersgruppe vergleicht im Internet die verschiedensten Angebote, dabei ist sie außerordentlich bewertungsorientiert, das heißt, Online-Bewertungen sind für sie zentral. Für den Einzelhandel bedeutet das notwendig, sich einer Transformation nicht zu verschließen. Man muss auf diese Generation zu- und eingehen, etwa durch ein Engagement in einem oder mehreren sozialen Netzwerken. So könnte man beispielsweise auf TikTok auf die Topseller des Ladens aufmerksam machen. Ziel muss sein, die jungen Menschen für einen Laden, dessen Produkte und Dienstleistungen zu begeistern.“
Ist Print für junge Menschen uninteressant geworden?
„Die Generation Z liest keine Texte. Visuelle Reize sind wichtig. Sie will lieber Fotos und Videos sehen. Das heißt, bewegte Bilder, die in kürzester Zeit eine Botschaft transportieren oder eine Stimmung erzeugen.“
Wie kann der Einzelhandel die Ansprache der Jungen angehen, der bislang weniger in der digitalen Welt präsent war?
„Keine Zeit, keine Lust, alles Unsinn, das sind natürlich die völlig falschen Einwände, nicht in den sozialen Netzwerken aktiv zu sein. Wer unternehmerisch tätig ist, muss unternehmerisch handeln und kann sich nicht zurückziehen, auch unabhängig von der persönlichen Haltung zur digitalen Welt. Mehr noch: Der stationäre Einzelhandel hat keine andere Wahl, wenn er sich halten und weiterentwickeln will. Jammern über zu wenige Kund*innen im Laden ist Zeitverschwendung, man muss aktiv werden. Wer sich nicht oder zu wenig mit den digitalen Angeboten auskennt, kann sich Hilfe holen, es gibt kostenfreie KI-Tools, die leicht zu bedienen sind.“
„Ohne KI-Tools wird es in Zukunft gar nicht mehr gehen.“
Welche sind das und wobei unterstützen sie?
„Zunächst: Ohne solche KI-Tools wird es in Zukunft gar nicht mehr gehen, sie spielen eine immer dominierendere Rolle, wenn es um Akquise und Vertrieb geht. Sie helfen mit künstlicher Intelligenz in automatisierten Schritten beispielsweise Werbetexte zu formulieren, die genau eine jüngere Zielgruppe ansprechen, was auch die Erstellung von Werbeflyern erleichtert. ‚100 Worte‘, ist so ein Tool. Überhaupt boomen gerade KI-Tools fürs professionelle Texten. Darüber hinaus kann man sich über die Profile und das Konsumverhalten von neuen Zielgruppen informieren, etwa bei ‚Kameleoon‘. Andere Tools wiederum helfen unkompliziert beim Einsetzen von Fotos und Filmen in den sozialen Netzwerken oder beim Schneiden von eigenen Filmen. Die Auswahl an KI-Tools ist mittlerweile sehr groß.“
Wo bekommt man einen ersten Überblick über KI-Tools, die für Einzelhändler nützlich sind?
„Eine fundierte Quelle ist ‚KI-TOOLPARTY.de‘, ein Portal, das ich selbst mitentwickelt habe. Hier kann man sich in einer Datenbank gezielt über hilfreiche KI-Tools informieren, die das Marketing boostern können. Insgesamt werden mehr als 200 geprüfte Tools vorgestellt. Wie optimiere ich meine digitale Kommunikation? Wie spreche ich Neukunden an? Wie gelingen Produktfotos ohne Fotostudio? Viele der vorgestellten KI-Tools sind kostenfrei, andere haben eine 30-Tage-Gratis-Nutzung vor dem Kauf.“
Wie kann der Einzelhandel auf das beschriebene digitale Konsumverhalten der Jungen reagieren?
„Ein Beispiel: Es reicht nicht, stundenlang die Kamera im Laden laufen zu lassen und den Film dann eins zu eins auf YouTube einzustellen. Das will keiner sehen. Man braucht vielmehr kleine Clips, nicht länger als 60 Sekunden, für Instagram maximal 90 Sekunden. Mit dem entsprechenden KI-Tool kann man aus den sehr kurzen Clips ein Video schneiden lassen, entweder automatisiert oder das Tool gibt mir Empfehlungen und unterlegt das Ganze mit einer lizenzfreien Wunschmusik. So macht man im Laden drei bis vier Clips, und zeigt etwa die Topseller, Neuheiten, die Mitarbeiter*innen oder im Buchladen auch die Kinderabteilung. Mit dem KI-Tool kann ich dann innerhalb von Minuten und ohne jegliche Medienkompetenz einen Teaser für den Laden zusammenschneiden lassen. Teaser, die hochaktiv sind und mit einer echten Botschaft, auch mit Texteinblendungen, punkten. So ins Internet eingestellt, schauen sich das auch junge Menschen an.“
Wie welcher Frequenz sollte man dabei auftreten?
„Generell immer mit Augenmaß. Es kommt auf den Kanal an, den man bedient. Gastronomische Betriebe etwa sind mit einem Kommentar wöchentlich, beispielsweise auf ‚Google Market Place‘, gut beraten. Für Einzelhändler*innen gilt das Gleiche, es ist eine gute Frequenz, um auf Neuheiten oder das Lieblingsgeschenk der Woche hinzuweisen.“
Gibt es Stolperfallen?
„Es gibt nur eine einzige: das Nichtstun. Und: nicht den Anspruch haben, so hochprofessionell wie eine Medienproduktionsfirma mit einem Millionenbudget produzieren zu müssen. Es geht einfacher und preisgünstiger. Einzelhändler*innen, die in die digitale Kommunikation einsteigen oder diese verstärken möchten, rate ich, nicht alles gleich live zu schalten. Lieber erst einmal das Video auf dem eigenen Smartphone anschauen und auch einer jüngeren Zielgruppe, aus der Familie oder dem privaten Umfeld, zeigen und deren Feedback abwarten. Ein erster Schritt bevor ein Video ins World Wide Web geht, könnte auch ein Display an der Kasse sein, was gewissermaßen eine Teilöffentlichkeit schafft. Ich selbst lasse mich mittlerweile bei vielen Dingen von meiner 12-jährigen Tochter beraten, ihre Sehgewohnheiten stehen beispielhaft für eine ganze Konsumgeneration, die bald am Start ist.“
Was tun, wenn ein Shitstorm entsteht?
„Vor einem Shitstorm, der weite Kreise zieht, fürchten sich tatsächlich viele, sobald sie digital kommunizieren. Grundsätzlich ist es gut, wenn über mich gesprochen wird, auch mal negativ, das kommt selbst in Freundschaften vor. Die wichtigste Botschaft aber ist: bloß keine Angst! Ist ein Shitstorm da, hat etwas in der Kommunikation nicht funktioniert und man muss analysieren, was konkret schiefgelaufen ist. Wie man dann reagiert? Mit Kommunikation! Es wäre nicht klug, nicht zu reagieren, denn es geht ja um digitale Kommunikation – und wenn ich mich dieser verweigere, stumm bleibe, ist das eine Botschaft, die dem entgegensteht. Immer antworten, übrigens auch bei Lob! Auf das oft anonyme Gegenüber positiv zugehen und gegebenenfalls nachfragen, was er oder sie vermisst hat oder was man im Laden oder im Service optimieren könnte. Man muss in der Kommunikation immer den Kontakt zu den Kund*innen suchen, und je jünger diese sind, desto wichtiger ist das.“
Sie sprechen vom „digitalen Lagerfeuer“ als einem Sehnsuchtsort der Jungen. Was hat es damit auf sich?
„Der Mensch ist ein soziales Wesen. Wir glauben, die zunehmende Digitalisierung unseres Lebens führe zur Vereinsamung. Das ist in vielen Fällen tatsächlich so, vor allem, wo man meint, man könne digital das Soziale des Menschen substituieren. Das gelingt aber nur in Teilen. Beim ‚digitalen Lagerfeuer‘ geht es darum, das Gefühl der Gemeinschaftlichkeit auch im Digitalen zu erzeugen. Wie beim echten Lagerfeuer dreht es sich um den Austausch von Geschichten und Erfahrungen sowie um das Gefühl einer Gemeinschaft mit gleichen oder ähnlichen Interessen anzugehören. Wer junge Menschen erreichen möchte, muss auch darum kämpfen, einen Platz am digitalen Lagerfeuer einnehmen zu können.“
Mit welcher Strategie sichert sich der Einzelhandel diesen Platz am „Lagerfeuer“?
„Es geht zunächst darum, Orte, ein ‚Lagerfeuer‘, zu erschaffen. Das kann eine Facebook Gruppe sein, zu der Einzelhändler*innen ihre Kund*innen und Interessenten einladen und dort regelmäßig aktiv sind, etwa mit einem virtuellen Büchertisch einmal im Monat. Buchhändler*innen erzählen im Video über neue Bestseller oder machen Empfehlungen für die Urlaubslektüre und gehen auf die Fragen der Kund*innen ein, so entsteht ein Austausch und damit eine Bindung. Vielleicht kommunizieren Händler*innen auch nur über Audio – das ist ohnehin der neue Zukunftstrend in der digitalen Welt. Die gute Stimmung im Laden vermitteln, können auch exklusive Kundenevents vor Ort, die dann im Video digital für alle zu erleben sind. Ich interessiere mich für euch, diese Haltung müssen Einzelhändler*innen stets vermitteln, ich will mit euch sprechen, ihr seid meine Community.“
Herr Professor Lembke, Sie sagen: „Junge Menschen wollen kommunizieren“. Aber wollen sie das auch mit dem Handel?
„Ja, natürlich! Sie suchen vor allem nach vertrauensbildenden Informationen und Maßnahmen. Konkret, die Jungen wollen mit weiten Armen empfangen werden, mit Vertrauen und Offenheit. Wie das ja jeder Mensch möchte. Ein Beispiel soll das veranschaulichen: In der Stadt, wo ich lebe, gibt es auf kleinem Raum mehrere Eisdielen mit annähernd gleicher Produktqualität. Doch wo stehen die jungen Leute Schlange? An der Eisdiele, wo man sie mit einem echten, aufrichtigen Lächeln empfängt, ein bisschen Small-Talk pflegt und sie nach zwei, drei Besuchen quasi als Stammgäste gelten und entsprechend empfangen werden, fast schon familiär. Diese Eisverkäufer*innen haben, salopp gesprochen, einfach Bock auf ihre Kunden, sie leben ihren Beruf leidenschaftlich – das ist das Geheimnis, was die Kund*innen natürlich spüren und was sie immer wieder anzieht, obwohl es so nahe Konkurrenzangebote gibt. Es ist ein Fazit: Die Zeiten der ‚Servicewüste‘ sind endgültig vorbei, denn die Alternativen sind so krass präsent und zugänglich. Der stationäre Einzelhandel muss einen Hammerservice und authentische Menschlichkeit bieten, die digitale Kommunikation ist ein zentraler Teil dessen.“
Professor Gerald Lembke
Als Professor und Studiengangsleiter für digitale Medien, Medienmanagement und Kommunikation an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg begleitet er hauptberuflich junge Menschen in unsere digitale Zukunft. Er ist in diesem Bereich einer der Top-Keynote-Speaker in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie als Team- und Projekt-Coach tätig. Prof. Dr. Gerald Lembke ist Autor mehrerer Fachbücher (aktuell „Smartes Marketing mit Künstlicher Intelligenz“) und publiziert regelmäßig Podcasts und Videos.